Der Ruf des Graureihers. Der Krieg:

Redaktionsbeitrag: Dieser Erfahrungsbericht ist für uns eine Ausnahme,
da dieser den zweiten Weltkrieg beschreibt. Das erste Mal haben wir ein
Maximum der Triggerstufe. Der Verfasser ist verstorben und die rechtliche
Erbfolgerin befindet sich bei uns in einer Selbsthilfegruppe. Dieser
Nachlass wurde als Brief verfasst und wurde noch nie publiziert. Der
Verfasser verstarb 2004 in Bielefeld. Er war alkoholsüchtig.

Der Ruf des Graureihers. Der Krieg:
Kleine Abenteuergeschichten vom Krieg mit Heldenmut und Witz, die am
besten glimpflich ausgehen. Wo verwegene Männer für die Heimat
kämpfen. Ja, verwegen,… von wegen! Alles gelogen! Lügen, das mögen
die Leute. Die Wahrheit wollen die meisten Ohren lieber nicht hören.
Als ich 25 Jahre alt war, musste ich in den Krieg ziehen. Beim
Marschieren im Osten lernte man sich kennen. Ein Freund von mir war
Jürgen. Das war ein liebenswerter Mensch, wie es sie nur sehr selten gibt.
Er zeigt mir ein Bild von seinem Mädel, Else hat sie geheißen. Und wie
verliebte Burschen so sind, schwärme er von ihr. Dass er sie heiraten täte,
wenn er zurück käme. Auf der Hochzeit sollte es die feinsten Speisen
geben und viele Leute würden kommen.

Und ein Kämmerlein, so hoffen sie, sei dann auch schon bereitgestellt.
Damit, und mit anderen Dingen hat er mich beim Marschieren unterhalten.
Er schrieb ihr zahlreiche Zeilen. Schickte diese mit Briefen zu ihr. Eine
liebe Ballade an sie, die er in den kurzen Pausen verfasste, wollte er ihr
dann nach seiner Rückkehr persönlich Trällern.

Pläne zu einem gut gelingenden Krieg hatte er auch parat. Wir verstecken
uns auf den Bäumen und locken den Russen dann in unsere
selbstgebauten Fallen. Das wären Fallgruben. Und um in der Entfernung
Miteinander zu sprechen, würden wir die lieben Vöglein imitieren. So denn
der Graureiher dreimal schrie, so waren Feinde in der Nähe. Wir übten
also Vogelrufe zu imitieren. Als ob wir die lieben gewitzten Waldleute
wären, die mit einem beherzten Tritt den Russen in die Gefangenschaft
befördern. Das war so ein Schwachsinn. Und doch glaubten wir daran.
In Russland hat man uns aufgeteilt. Wir im Kaukasus, die anderen
Richtung Stalingrad. Die nach Stalingrad gingen waren siegessicher.
Keine großen Widrigkeiten würden sie ereilen. So waren die Worte die zu
hören waren. Das sei an der Stelle gesagt. Im deutschen Rundfunk hörte
sich das später ganz anders an. Von gewollter Aufopferung war die Rede.
Das hätte den Männern im Vorfeld nur mal einer sagen sollen.
Der Zug, in dem Jürgen und ich unterstellt waren, musste bis in den
Kaukasus herrein marschieren. Ich sehnte mich so sehr nach Zuhause.
Jeden Gedanken schenkte ich der Heimat. Wie gerne wäre ich zu Hause
geblieben. Wir kehrten ein in eine Siedlung die von den Russen erst vor
kurzen geräumt worden war. Nur Mauerreste und kleine Unterschlüpfe
waren noch vorhanden. An einer Mauer heftete ein Zettel in deutsch.

Darauf stand:
An alle Deutschen!
Gott segne euch.
Habt Erbarmen mit uns.
Denn wir haben euch nichts getan.
Zuhause warten die Lieben auf euch.
Hier nur der Tod.
Der Herr habe eure Seele gnädig.

Fassungslos las ich den Zettel an der Wand. Und wie ich so da stand, fing
ich einfach nur zu weinen an. Wie ein Schlosshund. Da riss mir der
Offizier den Zettel von der Wand und schrie mich an. Was mir den
einfallen würde dieses hole Geschwätz zu lesen. Das ich keine Manieren
hätte und weiteres Übel. Und alle mussten nach kurzer Rast weiter
ziehen. Der Zettel ging mir nicht aus den Kopf. Gott sage uns: Warum
solltest DU grade uns segnen wollen?! Es graulte mir, Schweineprister
waren wir! Nichts weiter!

Einige Fußmärsche und Tage darauf, bekam die Kolonne den Befehl:
Augenblicklich Gefechtstellung beziehen! Es blieb nicht viel Zeit. Jürgen
hatte sich einen verdienten Kameraden an die Fersen geheftet und diese
bauten einen Unterstand. Doch sie kamen nicht allzu weit damit. Einen
halben Meter tief, darüber ein Tarnnetz. Da kauerten die Beiden hinter
dem Maschinengewehr. Die Vormittagssonne, die auf uns schien,
zeichnete ein freies Bild von der Gegend.

Auf einmal, da ging das los! Am Horizont waren mehre Brandherde zu
sehen, die dichte Rauchfahnen über den Himmel trugen. Es wurde finster.
Der Tag wurde zur Nacht. Es donnerte und heulte. Es kam immer näher.
Es war ein gespenstisches Pfeifen zu hören. Es blitze überall
Mündungsfeuer, bersten und knallen, ein Höllenlärm! Erste Einschläge
waren nah. Auf über zehn Kilometer Weite erstreckte sich die Front.
Ich war hinter einem Felsen positioniert worden. Dieser war hüfthoch. 50
Meter links war Jürgens Unterstand. So 100 Meter zur rechten
waren drei Panzerabwehrkanonen bereit gemacht worden. Und wie das
donnern und heulen immer näher kam, sah ich durch die Löcher
des Rauches. T43 Panzer, der immer näher kam. Die
Panzerabwehrkanonen zu rechten eröffneten das Feuer.
Da biss ich mir fest auf die Zähne und knirschte hin und her, dass ich
meine eigenen Zähne zerbrach.

Wir schossen! Ein Kamerad rannte schreiend hinter mir vorbei und suchte
den Befehlsstand. Er schrie “Feuer einstellen! Das sind unsere! Das sind
unsere!” schrie er. Es wurde weiter geschossen! Da sind einige
Kameraden zu Grunde gegangen. Die, die vorangestürmt waren und
versucht hatten sich vor des Feindes Truppen in Sicherheit zu bringen.
Aus den Rauchwänden preschten nun die ersten russischen Truppen
heraus und waren nun direkt vor unserer Nase. Ich schoss und traf einen
Russen, der eine Granate wurfbereit hatte. Ich will nicht dran denken.
Doch es ist so. Wir hätten auch Freunde werden können. Doch wir
mussten aufeinander losgehen. Das ist schwer zu begreifen. Ich kenne
ihn gut, diesen Russen. Ich träume oft von ihm. Immer und immer wieder.
Das selbe Szenario. Schreiend und nassgeschwitzt wache ich dann auf.
Da kam nun ein russischer Panzer in vollem Tempo auf uns zu. Dieser
schoss nicht. Er kam einfach in unsere Reihen. Fuhr auf den Unterstand
von Jürgen und machte dann auf der Stelle kehrt. Und verschwand
wieder.

Der eine Kamerad im Unterstand war mausetot. Doch Jürgen starb
einfach nicht. Jürgen schrie und schrie! Mama! Uwe! Else! Uwe! Uwe! Das
war seines Vaters Name. Jürgen war am Leben, doch hatte keine Beine
mehr.

Zur gleichen Zeit muss ein Flieger die Panzerabwehrkanonen bombardiert
haben. Als ich zur rechten schaute, sah ich das unter Beschuss geratene
Feindflugzeug nur wenige Meter von mir entfernet sich krachend in den
Boden bohren. Die Panzerabwehrkanonen, die das Flugzeug kurz vorher
überflogen und bombardiert haben mussten, stand in hellen Flammen!
Und weiter drüben rannten zwei Besatzungsmitglieder heraus und
versuchten sich auf der Erde zu wälzen um sich der Flammen, die sie
umgaben, zu entledigen. Ein Marder dessen Besatzung ich ebenfalls
kannte, versuchte in einem verzweifelten Akt der Situation Herr zu
werden. Sie fuhren über die Flugzeugreste und preschten feuernd vor,
und ward nie mehr gesehen. Ich weiß nicht, was die bei uns zu suchen
hatten. Sie waren ursprüglich in einen anderen Sektor eingeteilt worden.
Das was sich abspielte, hätte nicht sein dürfen. Was haben wir nur
getan?! Das war nicht menschlich! Und doch war es da. Ein Schrei, ein
Schrei, wie von einem Ungetüm, ein Monster, was uns alle vernichtet. In
blankem Hass!

Ich konnte nichts machen. Ich lief um mein Leben. Den schreienden
Jürgen lies ich im Stich. Ich konnte nicht anders. Ich weiß nicht mehr, wie
weit ich gelaufen bin. Mussten wohl viele Kilometer gewesen sein. So
können nur deutsch Landser laufen. Als der Schock nachließ, merkte ich
erstmals meine Verwundung. Am linken Unterarm quoll ein Eisensplitter
heraus. Ich weiß bis heute nicht, wo das Scheiß Ding hergekommen ist.
Der Arm war mehrfach gebrochen. Somit schickten sie mich in die Heimat.
Als die Alliierten anrückten, haben die mich dann doch wieder für
Kriegstauglich befunden. An der Westfront, da waren wir nur noch Greise,
Verkrüppelte und die Hitler-Jugend. Die Gespräche bei den
Kriegserfahrenen gingen nur noch darum, wie wir heil aus der Sache
rauskommen. Unser Hauptmann hatte den Krieg von Anfang bis zum
Ende mitgemacht. Er wurde in der Normandie so durchschossen, dass er
nur noch hinken konnte. Der Hauptmann funkte die Alliierten an. Als diese
in Reichweite waren, gab er unsere bedingungslose Kapitulation durch.
Ich warf die Waffe weg und entledigte mich meiner Abzeichen. Andere
Kammeraden machten ihre Waffen unbrauchbar. So sammelten wir uns,
um geschlossen in Gefangenschaft zu gehen.

Die Hitler-Jugend weigerte sich den Kapitulation Befehl Folge zu leisten.
Sie schrien Durchhalteparolen: “Wir folgen nur dem Führer!” und “Sieg
Heil!” Sie feuerten Maschinengewehrsalven in ein Waldgebiet, in dem sie
die Alliierten vermuteten. Unser Hauptmann hinkte nun zu denen und hielt
Ihnen die Pistolen vor, riss ihnen die Waffen aus den Händen und
entnahmen ihnen die Munition. Die Hitlerjungen begannen zu plärren und
zu heulen. Sie schlossen sich nun doch der Gefangenenkolone unter
Zwang an.

Die amerikanischen Panzer fuhren an uns vorbei. Sie nahmen kaum Notiz
von uns. Schritt für Schritt war es vorbei. Und der Krieg war aus. Endlich
aus und vorbei. Bei mir flossen Tränen. Freudentränen.
So lange habe ich mich danach gesehnt